»Ich glaube, was ich am meisten fürchte, ist der Tod der Vorstellungskraft. Wenn der Himmel draußen nur noch rosa ist und die Dächer nur noch schwarz: dieser fotografische Verstand, der paradoxerweise die Wahrheit, aber die wertlose Wahrheit, über die Welt erzählt. ... Wenn ich stillsitze und nichts tue, schlägt die Welt weiter wie eine schlaffe Trommel, ohne Bedeutung. Wir müssen uns bewegen, arbeiten, uns Träume machen, denen wir entgegenlaufen; die Armut des Lebens ohne Träume ist zu schrecklich, um sie sich vorzustellen.« (Sylvia Plath, The Unabridged Journals of Sylvia Plath)

Auch wir fürchten den Tod der Phantasie. Dafür gibt es genügend Gründe. Das vereinfachende Denken der YouTube-Videos, die reduktive Mentalität der Verschwörungstheoretiker und die verkrüppelte Vorstellungskraft zu vieler Politiker umgeben uns täglich. Sackgassenaugen starren zurück. Die erstickende Monotonie der herrschenden Kultur erdrückt die Kreativität, während die lähmende Leere des unaufhörlichen Konsums jeden Funken einer Vision auslöscht. Das hirnlose Geplapper, das den Äther und die virtuelle Welt des Internets füllt, bringt keine tieferen Gedanken oder reichere Gespräche hervor.

Das Zitat von Henri Boulad spricht davon, Gott zu finden. Gott zu suchen bedeutet jedoch, sich zu verpflichten, ganz lebendig zu sein, anstatt sich mit dem bloßen Überleben zufrieden zu geben. Um Gott zu finden, müssen wir uns der Welt unserer Erfahrungen voll und ganz bewusst sein und das tiefe Herz in uns, die geheiligte Kammer unserer Innerlichkeit, wahrnehmen. Das Geschenk des Lebens ist keine billige Massenware und kann daher auch nicht zum Schnäppchenpreis erworben werden.

Wir haben das Zitat in ein Bild gesetzt, in der Hoffnung, dass Sie innehalten und über das Kind am Fenster nachdenken mögen. Möge das Bild ein doppeltes Verlangen in Ihnen erwecken:

Ich wünsche mir die Augen und das Herz des Kindes.

Es sieht die Welt durch ein offenes Fenster, nicht durch eine Glasscheibe. Es gibt keinen dünnen Schleier der Trennung, der es ihm erlauben würde, zu sehen, während er von allen anderen Empfindungen der Welt abgeschnitten ist: dem Duft der Speisen und der Blüten; den Klängen des Vogelgezwitschers und der menschlichen Stimme; der Berührung des Windes oder der Regentropfen; dem Geschmack des Wassers, den der Wind vom großen See trägt.

Hier ist ein Kind Gottes, das sich Zeit nimmt und keine Zeit vergeudet. Das Kind am Fenster schaut aufmerksam zu, sein Körper ist entspannt, es lehnt sich an die Fensterbank, es lehnt sich ins Leben hinein. Es wirft einen langen, liebevollen Blick auf das Reale. Wenn man dieses Kind betrachtet, sieht man die Haltung des Mystikers. Wir alle werden mit dieser Haltung geboren, aber wir Erwachsenen verlieren sie allzu schnell und allzu leicht.

Wir sind daran gewöhnt zu sagen, dass es immer viel zu tun gibt. Mit diesem Kind zu stehen, bedeutet zu entdecken, dass es so viel zu sehen gibt. Es gibt sowohl ferne Horizonte als auch eine Welt, die wir erreichen und berühren können. Mit dem Kind können wir beobachten, was oben am Himmel geschieht und was unten auf der Erde grünt. Wir können auf eine Welt blicken, die so stabil ist wie die Bäume, so wechselhaft wie die Wolken und so fließend in Bewegung wie das Wasser, und wir können beobachten, wie sich die Schönheit der Welt verändert und auf unzählige Arten neu formt.

Auch wir können über die Kluft des Sees blicken und ferne Hügel am anderen Ufer sehen und staunen, wie das Licht in die Welt eintritt und auf so vielfältige Weise mit den Farben und Konturen der Erde spielt.

Ich wünsche mir auch die Augen und das Herz der Mutter, die das Bild gemacht hat.

Hier ist eine Frau, die das Kind sah und innehielt, um das Bild festzuhalten. Sie erkannte, dass dies ein Moment war, der es wert war, geehrt zu werden, ein Moment, der festgehalten werden sollte. Sie erkannte heiligen Boden, als sie ihn betrat.

Diese Mutter weiß, wie Erinnerungen gemacht werden. Zuerst brauchen wir eine Erfahrung. Dann müssen wir bei dem, was wir erleben, ganz präsent sein. Danach müssen wir eine erste Ahnung von der Bedeutung dieser Stunde haben, lange bevor wir genau definieren können, was sie ist. Dann müssen wir sie wertschätzen und in unserem Herzen festhalten. Jeder, der eine Kamera oder ein Mobiltelefon hat, kann ein Foto machen. Aber nur mit dem Blick des Herzens sieht man, was wertvoll genug ist, um es zu fotografieren.

Das ist unser Ziel in diesem Jahr: unsere Vorstellungskraft neu zu beleben und die Augen und das Herz dieses sehenden Kindes und der Mutter, die es sieht, wiederzufinden. Wir hoffen, dass wir »unseren Sinn für die Freude am reinen Geschenk der Dinge wiederbeleben können«. (Timothy Radcliffe)

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Vielfalt ist die Würze des Lebens. Wie an einem reich gedeckten Tisch sollen unsere breit gefächerten Angebote möglichst vielen Menschen Nahrung und Stärkung für ihr Leben und ihren Glauben schenken.

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Sprache ist von Bedeutung

Wir hungern nach einer frischen Sprache, mit der wir einander begegnen könnten. Wir hungern nach einer neuen Weise, harte Wahrheiten auszusprechen und erlösende Geschichten zu erzählen, nach einer Sprache, die erhebt und ermutigt anstatt zu erniedrigen und zu entfremden. Wir brauchen Worte mit schillernder Kraft, welche Wahrheiten aussprechen, die bloße Fakten nicht fangen können. Worte sind von Bedeutung. Sprache ist von Bedeutung. Worte berühren und bewegen. Die Sprache, die wir wählen, formt die Art und Weise, wie wir uns selbst wahrnehmen, wie wir die Welt interpretieren und wie wir andere behandeln. Sprache bleibt eine primäre Art, das Geheimnis des anderen zu berühren und das Mysterium in uns zu offenbaren.

Weil die Welt und die Kirche die anschaulichsten und transformativsten Worte brauchen, die wir auftreiben können, haben wir »L’Chaim« ins Leben gerufen. Das hebräische Wort für »Auf das Leben« nehmen wir als Motto und Leitlinie, um Worte mit Ihnen zu teilen, die das Leben stärken, wertschätzen, inspirieren, mehren und heilen.

Veröffentlichungen

Impulse

Gott liebt es nicht nur, unsere Geschichten zu hören, er liebt es, seine eigene zu erzählen. Und, schlicht und einfach, wir sind die Geschichte, die Gott erzählt. Unsere Leben sind die Worte, die aus seinem Mund kommen.

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