»Gott liebt es nicht nur, unsere Geschichten zu hören, er liebt es,
seine eigene zu erzählen. Und, schlicht und einfach, wir sind die Geschichte, die Gott erzählt. Unsere Leben sind die Worte, die aus seinem Mund kommen.
Diese Einsicht hat die religiöse Phantasie immer angefeuert und sie weigert sich, rationalisiert oder abgetan zu werden. Die Überzeugung,
dass wir die Geschichte Gottes sind, setzt Urimpulse frei und aus einer Mischung aus Trotzigkeit, Dankbarkeit und Nachahmung erwidern wir das Kompliment. 
Wir erzählen die Geschichten Gottes.« – John Shea, Stories of God

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»Eine gute Geschichte ist immer eine Reise.«

10 Jahre Siebenquell

Ans Herz gelegt

»Die Geschichte wiederholt sich«, sagen manche Menschen, wenn sie familiäre oder politische Geschehnisse meinen. Die Geschichte wiederholt sich auch im Sinne der Erzählungen Gottes. Obwohl ich sehr lange den Satz von Erik Riechers nicht verstanden habe, wenn er sagte: »Wir sind die Geschichten Gottes!«, so erlebe ich heute, wie wahr er ist.

Die Anfänge bleiben lebendig und die Wege durch die Geschichte sind es ebenfalls. Auf meiner langen Reise, die das Leben mir geschenkt hat, habe ich Höhen und Tiefen erlebt und schmerzliche wie heilsame Erfahrungen gemacht.

Es gab eine Zeit, in der ich mich in mir selbst gefangen fühlte und begegnete Menschen wie Mose, die mir begehbare Wege zeigten, um aufzubrechen. Wüstenerfahrungen sind mir nicht fremd und ebenso wenig die Ankunft im Land, wo Milch und Honig fließen.

Je älter ich geworden bin, desto schöner und gehaltvoller hat sich meine Reise gestaltet. Besonders die letzten 10 Jahre sind für mich wie eine lebendige und fruchtbare Landschaft, voller Schönheit.

Wir haben uns zu zweit auf den Weg gemacht, ähnlich wie damals, als Jesus seinen Freunden sagte, sie mögen zu zweit losgehen. Nicht ohne Gefährten zu sein, empfinde ich auch nach all den Jahren als ein großes Geschenk. Alleine wäre meine Reise nie so geglückt, nie so reich geworden, wie ich sie erleben darf. Allerdings kenne ich auch die einsamen Wegstrecken, auf denen ich mehr Selbstgespräche führte als den Dialog zu suchen. Und dann gibt es da jene Begegnungen auf dem Weg, jene Menschen, durch die mein Leben eine Wende genommen hat.

Es geschah recht leise und allmählich und die Wurzeln sind deutlich älter als 10 Jahre. Als ich Erik zum ersten Mal hörte, er sprach über die keltische Spiritualität und die Bedeutung der »Dünnen Stellen«, wo der Himmel die Erde berührt, dachte ich: »Das kenne ich«. Seine Worte fielen mir tief ins Herz. Er hat meiner Sehnsucht einen Namen gegeben und was lag näher, als dieser Spur zu folgen. Ebenso überraschend und wahrhaft bewegend waren meine ersten Erfahrungen beim Bibliodrama mit Rosemarie. Sie öffnete mir die Tür zu einer spirituellen Welt, die mir bis dahin schmerzlich gefehlt hat.

Jahre bevor die beiden Siebenquell gründeten, floss ihr lebendiges Wasser durch das Land und begann den ausgetrockneten Boden meiner Seele zu tränken.

Das tiefe Berührt-Sein machte mich allmählich mutiger und so wagte ich, meine eigenen Schritte neu auszurichten. Wir waren bereits auf dem Weg und wussten nicht so genau zu sagen, wo das Ziel lag. Nur eines war uns bewusst: Die alte Welt mit ihrer geerbten Auslegung trug uns nicht mehr. Wir mussten weiter gehen und traten somit eine Reise an, deren Wege uns fremd waren und die doch unsere Herzen durch lebendige Begegnungen wärmten und nährten.

Am Ende sitzen wir nun gemeinsam am Tisch, erzählen uns die Geschichten und brechen das Brot miteinander.

 

Doch gehen wir in der Erzählung ein Stück des Weges zurück:

Der Durst war zu Beginn meiner Reise ausgesprochen groß und so suchte und fand ich Wege zu den siebenfältigen Quellen. Ungezählte Male machten wir uns auf den Weg zu den Brunnen, die uns wahre Lebendigkeit schenken wollten.

Ähnlich wie jener Frau damals, die in der Hitze des Tages dem Mann am Brunnenrand begegnete, der ihr die Augen und das Herz öffnete und ihr damit neues Leben ermöglichte, suchte ich nach der Quelle lebendigen Wassers, das meinen Durst wahrhaft stillen konnte. Gefunden habe ich dieses Wasser an den Tagen, als wir uns um den Brunnen von Siebenquell versammelten. Hier darf ich bis heute meinen Durst am lebendigen Wasser stillen, das Rosemarie und Erik aus der Tiefe für uns heraufholen, um es dürstenden Menschen anzubieten.

Doch es gibt noch mehr als die Tage und Begegnungen an Brunnen. Auf meiner Reise wurde die Quelle mit der Zeit zu einem Bach, der sich durch mein Leben schlängelt und ich spüre und genieße das Leben, das von ihm ausgeht. Der Boden unter meinen Füßen ist fruchtbar geworden und er lädt mich ein, genauer hinzuschauen und wahrzunehmen, welche Lebendigkeit von dem Wasser ausgeht. Mein alltägliches Leben hat an Farbe und Tiefe gewonnen und so entsprang aus dem Siebenquell, dem Zentrum für narrative Theologie, für uns an einem ganz anderen Ort ein Lebensquell. Mit ihm sprudeln und fließen bis heute viele Geschichten durch das Land, werden an Tischen erzählt und wie frisches Brot miteinander geteilt.

Ich erinnere mich an den Moment unserer Reise, an dem ich spürte, dass der Bach begann sich zu einem Fluss auszuweiten. Für ihn gab es kein Halten. Die Geschichten Gottes, die Geschichten der Menschen der Gegenwart und der Vergangenheit und meine eigenen Geschichten nahmen immer mehr Raum ein und flossen durch mein Leben. Wenn ich auf meinem Weg längere Zeit stehen blieb, geschah es spätestens, wenn ich am Herdfeuer saß, dass mein Herz wieder Feuer fing und mich in Bewegung brachte. So wie das lebendige Wasser mich in Bewegung hält, so ist auch die Glut der Sehnsucht noch immer in mir wach und will genährt werden. Am Herdfeuer – hoch im Südtiroler Lichtenstern – wahrlich im Haus der Familie – fand ich die Nahrung, mit der ich weitere Wegstrecken auf meiner Reise zurücklegen konnte und jene Nahrung, die meinem Leben noch mehr Tiefe schenkte.

Das Kohlenfeuer glüht immer noch - sowohl am Ufer des Sees, als auch im Herd der keltischen Spiritualität, und es lohnt sich jeden Tag aufs Neue, sich hinzusetzen und den Erzählungen zu lauschen.

Besonders an den Tagen der narrativ biblischen Einzelexerzitien mit Erik spürte ich die Einladung Gottes, die Mitte meines Lebens mit mir teilen zu wollen. Dort lernte ich mehr und mehr Schritte zu gehen, die Entfaltung ermöglichten und mein Herz dehnten. Ähnlich jener Erfahrung bei der Hochzeit zu Kanaa schmeckte das Wasser des Alltags und der Mühsal danach unverhofft und überraschend nach dem beliebten Wein aus den Steillagen meiner Heimat an der Mosel.

Vermutlich liegt es in der Natur der Quelle, dass sie erst dann am Ziel ist, wenn sie die Weite des Meeres erreicht hat.

Seit den Jahren, als Erik unser Lehrer war und uns die Schritte und Wege gehen ließ, um selbst Erzählerinnen Gottes zu werden, erlebe ich, das der Fluss meines Lebens weiter und tiefer geworden ist. Und ja, es fühlt sich so an, dass er dem Meer entgegen fließt.

Und ich leugne nicht: Es ist mühsam und braucht sehr viel Ausdauer und Zeit, lebendige Quellen zu suchen und ihr fließendes Wasser zu schöpfen, um damit den Durst des Herzens zu stillen. Doch dieses Wasser ist wie das Wasser, auf dem Jesus seinen Freunden entgegen kam. Es ist in der Tat »begehbar«! Es ermöglicht so viel Leben, im Sinne Gottes Leben in Fülle, dass es jede Mühe wert ist.

Rosemarie Monnerjahn und Erik Riechers danke ich für ihre Leidenschaft,

Menschen die Geschichten Gottes ans Herz zu legen und dafür,

dass dadurch mein Leben eine gute Geschichte geworden ist.

 

Sr. M. Josefa Bölinger op

Datteln, 21. September 2023