»Gott liebt es nicht nur, unsere Geschichten zu hören, er liebt es,
seine eigene zu erzählen. Und, schlicht und einfach, wir sind die Geschichte, die Gott erzählt. Unsere Leben sind die Worte, die aus seinem Mund kommen.
Diese Einsicht hat die religiöse Phantasie immer angefeuert und sie weigert sich, rationalisiert oder abgetan zu werden. Die Überzeugung,
dass wir die Geschichte Gottes sind, setzt Urimpulse frei und aus einer Mischung aus Trotzigkeit, Dankbarkeit und Nachahmung erwidern wir das Kompliment.
Wir erzählen die Geschichten Gottes.« – John Shea, Stories of God

Nächster Abschnitt

Wenn das Herdfeuer nicht erlischt

und Gebet von Langeweile zum Lebensabenteuer wird

John O’Donohue schreibt in seinem Buch »Die Vier Elemente«: »Das Herdfeuer ist eine machtvolle Metapher für die spirituelle Suche, denn die Herdstelle ist, wo das Herz zu Hause ist. Dies ist die Sehnsucht in jeglicher Spiritualität: aus dem Winter der Entfremdung, Selbst-Ferne und Verbannung ins Innere und an die Herdstelle der Wärme und des Einsseins zu gelangen.«

Wie um ein Herdfeuer haben wir uns eine Woche auf dem Ritten in den Südtiroler Bergen versammelt, um uns die große Gebetskultur der Kelten zu Eigen zu machen. Wir lernten Texte, Gebete und Lieder aus der keltischen Tradition kennen, die wir auf der Grundlage der Erzählungen Gottes auslegten, um mit ihnen zu singen, zu beten und über das Evangelium und unser Leben nachzudenken, mit all unseren Zweifeln und Fragen.

Wie leben wir mit den Dingen, die gegeben sind? Mit dieser Frage stiegen wir in die Woche ein und sie begleitete uns durch alle Tage der Kurswoche von »Herdfeuer«.

Stellen wir diese Frage wirklich, oder beschweren wir uns nicht meistens über das, was gegeben ist und uns hinderlich scheint, mit der Erwartung, dass jemand für uns die Probleme löst?

Unsere Kursleiter Rosemarie Monnerjahn und Erik Riechers führten uns behutsam und zugleich zielbewusst von dieser Erwartungshaltung weg zu einem lebendigen Gespräch mit unserem Schöpfer.

Viele Male in diesen Tagen wurde ich an eine Zeit erinnert, als mir die vorgeformten Gebete noch fremd waren und daran, dass meine kindliche Beziehung zu Jesus damals bereits Ausdruck meiner Innerlichkeit waren. Ich bin auf dem Weg mit Jesus weitergegangen und habe mein Leben in seinen Dienst gestellt. Ich habe Gebete gelernt, die ich heute nicht mehr ins Wort bringe; sie sind mir fremd geworden, weil sie nicht meiner Beziehung zu Gott entsprechen.

In den vergangenen Tagen des »Herdfeuers« habe ich darin Bestätigung erfahren, meine Beziehung zu Gott vertiefen können und darüber hinaus Neues und Herausforderndes entdeckt.

»Wenn Gebet von Langeweile zum Lebensabenteuer wird« ist mir zu einer realen Erfahrung geworden.

Begonnen haben wir die Tage mit einem Gebet, das überschrieben ist mit »Zu viel Gepäck« von Kathy Galloway und das den Entschluss beinhaltet, leichter zu reisen. Dabei begleitete uns die Erzählung der Aussendung der 12 Jünger Jesu, mit dem Auftrag, das Reich Gottes zu verkünden und Kranke gesund zu machen. Besonders die Worte Jesu, was sie auf diesem Weg NICHT mitnehmen sollten – und das WARUM –, holten wir hinein in unser Leben. Was brauchen wir für unsere Lebensreise und mit was belasten wir uns? Und besonders die Frage: »Mit WEM sind wir unterwegs, mit WEM bin ich unterwegs?« ist von Bedeutung. Gehen wir mit dem, der uns gewollt und liebt, der uns mit Namen und Gesicht kennt?

Die biblischen Erzählungen sind uns oft fremd und auch die, die uns vertraut erscheinen, bedürfen einer Deutung, die mit unserem Leben und unseren Erfahrungen übereinstimmen. So lag dem zweiten Tag neben dem keltischen Gebet »Eintauchen« von Pat Bennett eine prophetische Geschichte zugrunde, Ezechiel 47. Aus dem Tempel fließt lebendiges Wasser, doch das Land – unser Leben – bestimmt, wohin das Wasser fließt. Das lebendige Wasser muss in die Welt fließen, sonst bringt es kein Leben und keine Frucht.

Der Prophet wird von seinem Begleiter entlang der Quelle geführt und erhält die Aufforderung, ins Wasser einzusteigen. Schrittweise wird er geführt, aufmerksam begleitet und immer tiefer schreitet er durch das Wasser. Und dann die Frage: »Hast du es gesehen, Menschensohn?« Was gesehen? Wo das Wasser hinfließt entsteht Leben. Das Wasser macht lebendig, auch mich, wenn ich es wage, mich führen zu lassen und hindurch schreite. Es braucht meinen Mut und meine Entschiedenheit einzusteigen, das Leben zu wählen, es zu WAGEN.

Ein sehr ungewöhnlicher Name trug der dritte Tag: »Die Herrlichkeit in Grau« und ein Gebet von George MacLeod. Wir alle kennen die Grau-Zonen des Lebens, jene Erfahrungen, die Unsicherheit verursachen, Situationen, in denen wir in eine Spannung hineinmanövriert werden, von der wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen. Was aber haben sie mit Herrlichkeit gemeinsam? Wenn wir uns einlassen, werden wir Gott in diesen Grau-Zonen finden. Er vermag uns zu überraschen, kann uns in unverhofften Situationen berühren und bietet uns damit geistig-spirituelles Wachstum an. Wenn wir uns darauf einlassen, wenn wir das ÜBEN wollen, werden wir etwas von der Zärtlichkeit Gottes erfahren, denn es ist ein Weg mit GEFÄHRTEN und ein Weg, der uns vom Schwarz-Weiß-Denken befreit. Verbinden wir Gott lediglich mit den schönen Erfahrungen des Lebens und glauben wir, er habe uns verlassen, sobald es uns schlecht geht?

Unsere Gotteserfahrungen sind vielfältiger und reicher. Gott ist in unseren Fragen und in unseren Erfahrungen, nicht in den Lösungen. In vielen Gleichnissen haben wir entdeckt, dass es darum geht, nach den Möglichkeiten zu fragen, sie zu suchen, zu finden und sie zu wählen. Gott finden wir in der Wirkung (Sauerteig) und der Erinnerung und den Erfahrungen (barmherzige Vater) dessen, was wir erleben: Großzügigkeit, Aufrichtigkeit, Dienstbereitschaft, Ehrlichkeit ….

»Wie ein Baum, Gott, hilf uns zu wachsen«, wie ein Garten und wie ein Lied, so heißt es in einem keltischen Gebet von Kathy Galloway. Innerliches Wachstum ist hier das Anliegen. Das Baumbild der Kelten geht von den Wurzeln über den Stamm in die Krone, es symbolisiert den Kreis des Lebens. Die Liebe braucht das Lebendige. Nicht alle Menschen lieben das Leben, auch nicht ihr eigenes. Wir sind aufgefordert, das Geschenk unseres Lebens zu WÄHLEN. »Leben und Tod lege ich dir vor, wähle das Leben…« heißt es im Buch Dtn 30,19. Wir sollen das Geschenk unseres Lebens gestalten, es wagen und bewusst aktiv daran teilnehmen. »Alle Geschenke Gottes haben ein Verfallsdatum«, so hörten wir an diesem Vormittag. Es gibt also auch ein zu spät!

An dieser Stelle waren wir aufgefordert, uns mit dem Unterschied von Wunsch und Sehnsucht auseinanderzusetzen. Wünsche ich mir, wie ein Baum zu wachsen (und dass ein anderer mir meinen Wunsch erfüllt) oder ist es meine Sehnsucht zu wachsen, für die ich bereit bin, selbst aktiv zu werden?

Aus eigenen Erfahrungen wissen wir, dass zum Wachstum Verletzungen, Wunden und Narben gehören. Sie sind Teil unseres Lebens und Reifens. Werde ich sie segnen oder verfluchen? Bin ich bereit, in die Tiefe meines Lebens zu gehen und mich auf diese Prozesse des Wachsens einzulassen? Und will ich so wachsen, dass ich wie ein Baum ANDEREN Schutz, Schatten und Herberge biete? Das sind keine Fragen, die leichthin eine Antwort hervorbringen und keine Fragen, die wir mal eben so beantworten sollten, ohne zuvor achtsam in uns hineinzuhören.

An unserem letzten gemeinsamen Tag verbanden wir unser Leben sehr nah mit dem Leben Jesu, bzw. sein Leben mit dem unseren. So beteten wir mit Kathy Galloway:

Herr Jesus, es ist gut zu wissen,

dass du lebtest im Fleisch,

gingst, wo wir gehen, fühltest, was wir fühlen,

müde wurdest, wunde und schmutzige Füße hattest,

essen musstest und darüber nachdenken,

wo das nächste Essen herkommen würde.

Doch es ist sogar besser zu wissen,

dass du dein Essen genossen hast,

das Fühlen des Duftes auf deiner Haut,

den Wind in deinem Gesicht, ein Kind in deinen Armen

und den guten Wein bei der Hochzeit.

Du hattest nichts dagegen, wenn Menschen dich berührten,

sogar jene, die als unrein betrachtet wurden.

Du küsstest Menschen mit Krankheiten

und legtest deinen Kopf auf die Schulter deines Freundes.

Danke, dass du unsere körperlichen Schmerzen und Freuden verstehst

und sie wertschätzt.

All die menschlichen Erfahrungen Jesu, von seiner Geburt bis zu seinem Sterben, was er genossen hat, seine Freuden und seine Tränen, seine menschlichen Berührungen, was ihn umtrieb und woran er litt, all das kennen auch wir in unserem Leben sehr gut. Nichts Menschliches ist weder Jesus noch uns fremd. In Jesus steigt Gott in unsere, in meine Welt ein. Er solidarisiert sich mit unserem, mit meinem Leben. Die Gewissheit unserer Zugehörigkeit ist geboren aus unseren ähnlichen Erfahrungen. Das macht uns zu seinen Vertrauten und zu seinen Weggefährten. Sein Vertrauen in uns und unser Vertrauen in ihn ist unser Fundament. Zugleich weitet diese Erfahrung unser Leben; bedeutet sie doch, dass auch wir in die Welt des Nächsten »einsteigen« sollen, dass wir füreinander und miteinander unterwegs sind. Die Geschichte des Buches Rut erzählt davon, wo diese Haltung hinführt: zu mehr Leben!

In der Mitte dieses Gebetes spricht die Beterin davon, dass es sogar besser ist zu wissen, was Jesus in seinem Leben genossen hat: sein Essen, das Fühlen des Duftes auf seiner Haut, den Wind in seinem Gesicht, ein Kind in seinen Armen und den guten Wein bei der Hochzeit.

Dieser Teil des Gebetes hat mich besonders überrascht und berührt; und ihn habe ich von allem am meisten genossen! Jesu Genuss spricht nicht von Konsum, sondern davon, dass er das, was ihm möglich ist und was ihm geschenkt wird, bewusst wahrnimmt und es zutiefst wertschätzt.

Für mich gehört auch jener Teil dazu, der von den Berührungen Jesu spricht:

Du hattest nichts dagegen, wenn Menschen dich berührten,

sogar jene, die als unrein betrachtet wurden.

Du küsstest Menschen mit Krankheiten

und legtest deinen Kopf auf die Schulter deines Freundes.

Vertrautheit sucht und ermöglicht Nähe und Berührung. Und auch das vermag ich zu genießen.

Die Fülle unserer Herdfeuer-Tage waren eine einzige Einladung, unser Leben mit diesem Gott zu wagen. Zusammen mit ihm werden wir bei Hindernissen Lösungen suchen UND finden. Zusammen mit ihm werden wir Krisen wahrhaft gestalten können! Mit ihm zusammen dürfen wir genießen, was uns gegeben und geschenkt ist.

Als Vertraute Gottes und Weggefährten sollten wir mit ihm über all das, was uns berührt und bewegt, was unser Herz erfreut, mit Dank erfüllt, was uns ängstigt und leidend macht, im Gespräch bleiben. So kann Gebet zum Lebensabenteuer werden.

 

Sr. M. Josefa op

Datteln, 26. September 2024

 

(zuerst erschienen auf www.lebensquell-st-dominikus.de)