»Simon, Simon . . .« - der zweifache Ruf

Wann rufen wir jemanden zweimal mit seinem Namen? Sicher wollen wir erreichen, dass er uns hört, denn es ist dringlich und bedeutungsvoll, was wir zu sagen haben, vielleicht droht sogar Gefahr, vor der wir ihn bewahren wollen. Vielleicht liegt etwas Mahnendes in unserer Stimme. Die Bibel kennt solche Augenblicke auch.
Im Lukasevangelium spricht Jesus vor seinem Leiden Petrus zweifach an: »Simon, Simon, siehe, der Satan hat verlangt, dass er euch wie Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du wieder umgekehrt bist, dann stärke deine Brüder!« (Lk 22, 31-32) Simon Petrus reagiert sehr schnell mit der Aussage, dass er ja bereit sei, mit Jesus in den Tod zu gehen, doch Jesus sagt ganz klar, dass er ihn in Kürze dreimal verleugnen werde.
Die zweifache Nennung des Namens ist bemerkenswert, kommt sie doch in der ganzen heiligen Schrift nur fünfmal vor. Und diese fünf Erzählungen erschließen uns neue Welten und Lebensmöglichkeiten. Schauen wir hin:
Im 10. Kapitel des Lukasevangeliums spricht Jesus Marta zweimal an: »Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig.« Und Jesus weist auf Maria und ihre Weise, in der sie diese Stunde ausgekostet hat.
Nachdem der junge Samuel in der Nacht dreimal gerufen wurde und er immer glaubte, es sei Eli, heißt es dann: »Da kam der HERR, trat heran und rief wie die vorigen Male: Samuel, Samuel! Und Samuel antwortete: Rede, denn dein Diener hört.« (1 Sam 3, 10) Daraufhin vertraut Gott Samuel an, was mit dem untreuen Haus Eli geschehen wird.
Mose, schon weit hinaus über die Mitte seines Lebens und Hirte bei seinem Schwiegervater, macht eines Tages eine außergewöhnliche Erfahrung. »Als der HERR sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm mitten aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose!« (Ex 3, 4) Dann erteilte Gott Mose den Auftrag, zum Pharao zu gehen und das unterdrückte Volk aus Ägypten herauszuführen.
Und schließlich ist der erste, der diese Erfahrung des zweimaligen Angeredetwerdens im Volk Gottes macht, der Erzvater Abraham. Als er das Messer hob, um seinen schon gebundenen Sohn Isaak zu töten, heißt es: »Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sagte: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide!« (Gen 22, 11-12)
In jeder dieser Geschichten ist die Situation für den, den Gott zweimal aufruft, existentiell, denn es geht jedes Mal um einen Wendepunkt im Leben. Jeder steht gewissermaßen vor einer Wand und ist sich dessen gar nicht bewusst. Die doppelte Aufforderung sagt: Dreh dich um. Ändere deinen Weg. Ändere deinen Blick.
Abraham wird daran gehindert, seinen Sohn zu töten und damit aufgefordert, dringend sein Gottesbild zu ändern.
Mose wird aus seinen Lebensplänen in Midian herausgerufen und aufgefordert, sich einem neuen, ganz anderen Lebensentwurf zu stellen.
Der junge Samuel wird zum ersten Mal von Gott als Prophet angesprochen und so aufgefordert, seine eigene Leitungsrolle zu erkennen und wahrzunehmen.
Marta wird von Jesus erschüttert in ihrem Leistungsbild und aufgefordert, dies zu überdenken.
Und Simon Petrus schließlich wird aufgefordert, seine Selbsteinschätzung zu überprüfen und zu ändern.
Jede dieser Aufforderungen bedeutet einen neuen Ruf zum Leben und betrifft somit die ganze Existenz des Angeredeten. Wenn wir uns in jede dieser Geschichten hineinstellen und herausfordern lassen, können wir Gottes Stimme für unser eigenes Leben hören. Seine Worte wollen uns retten, denn vielleicht hindert mein Gottesbild mich daran, das Leben zu wählen. Oder mein bisher funktionierender Lebensentwurf hindert mich daran, neue Möglichkeiten zu sehen und zu wagen. Es mag sein, dass ich Verantwortung und Leitung immer an andere, »Geeignetere«, abgebe und nicht sehe, dass ich selbst in diese Rolle hineinwachsen kann und soll. Wie oft mag es sein, dass ich mein Leistungsbild so überhöhe, dass ich gar nicht ahne, dass Gott mich liebevoll anschaut, wenn ich nichts tue, einfach nur bin. Und schließlich mag mein Selbstbild unrealistisch sein, ich sehe mich zu klein oder zu groß und muss lernen, mich mit den Augen Gottes ehrlich anzuschauen.
So ruft Gott auch uns in diesen fünf Geschichten zu: »Rosemarie, Rosemarie, ändere dein . . .!« Wenn ich mir vorstelle, wie die biblischen Geschichten weitergegangen wären ohne diesen radikalen Aufruf zur Wende, ahne ich, wie notwendig sie waren und auch heute für uns sind. Denn sie weiten unser Leben und helfen uns, Grenzen zu überwinden
Wo stehen wir gerade wie vor einer Wand und hören diesen Ruf – zweifach!? Wenn wir diese mahnende Dringlichkeit hören, sollte uns klar werden, dass es ums Leben geht. »Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen.« (Dtn 30, 19)
Die Fastenzeit, der »Heilige Frühling«, könnte – wenn wir uns diesen Rufen stellen – eine lebens-wendende Zeit für uns werden.
Rosemarie Monnerjahn
Vallendar, 23. März 2023