Wie kommen wir Menschen zu Gott?

»Gott liebt es nicht nur, unsere Geschichten zu hören, er liebt es, seine eigene zu erzählen. Und, schlicht und einfach, wir sind die Geschichte, die Gott erzählt. Unsere Leben sind die Worte, die aus seinem Mund kommen.«

John Shea

 

Glauben fand seinen Anfang, als jemand eine Frage hatte und ein anderer sagte: »Mein Freund, lass mich dir eine Geschichte erzählen«. Das geschah an Lagerfeuern, als Menschen versuchten, die Sterne zu erklären; es geschah in ägyptischen Sklavenquartieren, als Menschen davon träumten, frei zu sein; es geschah während eines 40 jährigen Marsches durch die Wüste, als Menschen ihre Identität suchten; es geschah zu Zeiten des Exils, als die Träume der Freiheit neu geboren werden mussten. Und es geschieht in unserer Zeit, wenn Menschen sich von aufwendigen theologischen Systemen nicht mehr angezogen fühlen, wenn sie hinter die Glaubenssätze schauen, um von neuem die verlorene Lebendigkeit zu entdecken, sobald wir die magischen Worte sprechen: »Es war einmal…«

Wer nicht alle menschlichen Geschichten ernst nimmt, kann Gott nicht ernst nehmen. In Siebenquell arbeiten wir mit allen möglichen Geschichten: Geschichten, die Welten aufbauen und Geschichten, die sie abreißen; Geschichten, die uns einladen, uns beim Aufbauen und Abreißen selbst zu beteiligen; Geschichten, die uns einladen, atemlos die Frage »Warum?« zu stellen anstatt die nüchterne Frage »Wie geht das?«. Geschichten aller Art erinnern uns daran, dass wir nicht so alleine sind wie wir es befürchteten. Denn sobald wir eine Geschichte haben, eine gute Geschichte, müssen wir sie weitererzählen und: Gemeinschaft wird geboren.

In dem Augenblick, wo wir uns auf die Prozesse des Erzählens einlassen, entdecken wir, dass wir zurück zu den Wurzeln gehen, auf Felsboden stehen und zu dem kommen, was zählt. Und das Passwort, um dahin zu kommen, lautet: »Mein Freund, lass mich dir eine Geschichte erzählen. Es war einmal…«

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Zu unserem Namen:

Von John Shea stammt die Aufforderung: »Focus and then go deep«. Er meint damit: Finde den Brennpunkt und gehe dann in die Tiefe. Ist dies nicht auch so bei der Grabung eines Brunnens? An der richtigen Stelle, dort, wo Wasser vermutet wird, gilt es zu graben, tief zu graben und das Lebenselixier zum Sprudeln zu bringen. Daher unser Name »Siebenquell«, ausgehend von  Beersheba, ursprünglich ein Brunnen im Süden Israels in der Negevwüste, nach Genesis gegraben von Abraham, zum Nomadenort geworden, biblischer Haftpunkt der Erzväter- und Erzmüttergeschichten am Kreuzpunkt alter Handelsstraßen, wo Menschen einst unterwegs waren, innehielten, Wasser und Leben schöpften und erzählten. Im Norden Israels liegt am  See Genesaret der Ort Tabgha, griech. Heptapegon, Siebenquell, wo viele Geschichten Jesu verortet sind: sein Lehren vom Boot aus, die Speisung der 5000, Heilungen, Begegnungen...

Ganz in der Nähe mündet der Jordan in den See, verlässt ihn im Süden und fließt bis ins Tote Meer, 400 m unter dem Meeresspiegel liegend, wo das Wasser verdunstet. Der ganze Jordangraben ist Teil des Risses zwischen der eurasischen und afrikanischen Platte. Tektonische Bewegungen dort, wo die Platten in der Tiefe aufeinanderstoßen, führen immer wieder zu Verschiebungen und Rissen. Diese wiederum ermöglichen das Hervorbrechen von Quellen – so wie in Tabgha, dem Ort der sieben Quellen.

Betrachten wir dies im Blick auf unser Leben: Wir versuchen oft, Risse zuzuschütten und Spannungen zu ignorieren. Doch Tabgha zeigt uns: Wenn wir die Risse und Spannungen annehmen und aushalten, dann kann Gott wirken und innere Quellen zum Sprudeln bringen.

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Warum gehen wir diesen Weg des Erzählens?

Grundsätzlich erleben wir Menschen Geschichten als unterhaltsam, oft erzählen sie vom Leben auf humorvolle Weise, sie können so inspirierend sein, dass sie förmlich Leben in die Hörer hineinatmen.

Aber sie können noch viel mehr.

Die Erzählungen Gottes und des Glaubens

  • dringen hinter unsere errichteten Schutzwälle,
  • verlangsamen unsere üblichen Prozesse des Urteilens und Wertens,
  • zeigen Alternativen, neue Möglichkeiten auf,
  • ermutigen zur Selbstprüfung ohne zu verurteilen,
  • enthüllen tiefere Ebenen in uns, die an der Oberfläche nicht sichtbar sind,
  • belegen die Umwege, die entstehen zwischen der Intention und der Handlung und
  • bewirken viele Dinge, die nicht vorhersagbar sind

Auf dieser Weise können diese Geschichten sieben Quellen des Lebens in uns zum fließen bringen.

Wir von Siebenquell gehen diesen Weg des Erzählens bewusst, um die Beziehung zwischen Gott und seinen Menschen zu ermöglichen, zu fördern und zu vertiefen.

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Siebenquell wurde 2012 von Erik Riechers SAC und Rosemarie Monnerjahn
als Zentrum für Narrative Theologie gegründet
und ist Teil der pallottinischen Niederlassung Haus Wasserburg in Vallendar.

 

Erik Riechers SAC

Erik Riechers SAC

Erik Riechers SAC, Jahrgang 1963, ist Ordenspriester
der Pallottiner. Als systematischer Theologe hat er sich auf dem Gebiet der Narrativen Theologie spezialisiert.
Der gebürtige Kanadier arbeitet als Bibliodramaleiter, als Geistlicher Begleiter und als Exerzitienbegleiter.

Rosemarie Monnerjahn

Rosemarie Monnerjahn

Rosemarie Monnerjahn, Jahrgang 1957, Mutter von
drei erwachsenen Töchtern, arbeitete als Religionslehrerin und Katechetin in Schulen und Gemeinden. Seit ihrer
Ausbildung zur Bibliodramaleiterin ist sie Mitarbeiterin
im Geistlichen Zentrum der Pallottiner
in Vallendar und in der Ausbildung zur Narrativen Theologin.

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Was wäre passender …

Wenn der große Gründer der Hasidim, Rabbi Israel Baal Shem Tov sah, dass Unheil dem jüdischen Volk drohte, war es sein Brauch, an einen bestimmten Ort im Wald zu gehen und zu meditieren. Dort zündete er ein Feuer an, sprach ein besonderes Gebet und dann geschah das Wunder und das Unheil wurde vermieden.

Später, als sein Jünger, der berühmte Rabbi Maggid von Mezritch, das Unheil vom Volk fernhalten wollte, ging er zum gleichen Ort im Wald und sagte: »Herr, Du Gott der ganzen Schöpfung, höre mich! Ich weiß nicht, wie das Feuer angezündet wird, aber ich kann das Gebet noch sprechen. Das muss genügen!« Und es genügte. Das Unheil ging am Volk vorbei.

Viele Jahre später wollte der Rabbi Moshe-Leib von Sasov sein Volk vor einem Unheil schützen. Auch er ging an den Ort im Wald und sagte: »Herr, ich weiß nicht, wie das Feuer angezündet wird, und das Gebet kenne ich auch nicht. Aber ich kenne diesen Ort und das muss genügen.« Und es genügte. Und das Volk wurde gerettet.

Viele Jahrzehnte später wollte Rabbi Israel von Rizhyn das Unglück des Volkes überwinden. Er saß in seinem Haus, hielt seinen Kopf in den Händen und sprach zu Gott: »Herr, ich kann das Feuer nicht anzünden und das Gebet kenne ich nicht; ich kann nicht einmal den Ort im Wald finden. Ich kann nur die Geschichte erzählen, und das muss genügen.« Und es genügte!

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Gott schuf die Menschen, weil er Geschichten liebt!